Agathon ist seit seiner Gründung ein inhabergeführtes Unternehmen. Auf drei Generationen der Gründerfamilie Pfluger folgte im Jahr 2015 die Schlüsselübergabe an die jetzigen Eigentümer Michael Merkle und Dr. Stephan Scholze.
G R Ü N D U N G U N D F I R M E N L E I T U N G V O N 1 9 1 8 – 1 9 5 4
LEO PFLUGER
Der Gründer der Firma Agathon kam im Januar 1882 in der Schweizer Gemeinde Neuendorf am Fusse des Juragebirgszugs zur Welt. Eine unbeschwerte Jugend blieb Leo Pfluger allerdings verwehrt, denn bereits in früher Kindheit verlor er zunächst seine Mutter und wenige Jahre später auch seinen Vater, der in der Stadt Solothurn eine Uhrenschalen-Werkstätte betrieb. Die anschliessenden Jahre verbrachte der Junge im Waisenhaus.
Trotz dieser schwierigen Ausgangslage konnte Leo Pfluger in den Jahren 1899 bis 1902 eine Lehre als Mechaniker in der damals aufstrebenden Uhrenfabrik Eduard Kummer in Bettlach absolvieren. Bettlach ist nur wenige Kilometer vom heutigen Agathon-Hauptsitz entfernt. Nach seiner Lehre sammelte er weitere Berufserfahrung in der Uhrenstadt La Chaux-de-Fonds sowie in Genf, bevor er anschliessend zur Firma Kummer zurückkehrte. Dort stieg er in den folgenden Jahren zu einem leitenden Angestellten auf. In den ersten Wochen des Jahres 1918 erfüllte sich Leo Pfluger einen Herzenswunsch und wagte den Sprung in die unternehmerische Selbstständigkeit.
Gemeinsam mit seinem Vetter Ernst Flury gründete er die Agathon AG. Die Aktiengesellschaft wurde am 31. Januar jenes Jahres ins Handelsregister eingetragen und erwarb das Gebäude sowie die Einrichtung der Maschinenfabrik Kully in der Heidenhubelstrasse in Solothurn.
Dieses Gebäude sollte bis zum Umzug nach Bellach im Jahr 1965 das Zuhause der Firma Agathon bleiben, wurde bis dahin jedoch dreimal erweitert. Die Leitung der Agathon AG übernahm Leo Pfluger, während sein Vetter im Unternehmen keine aktive Rolle einnahm, sondern ausschliesslich in beratender Funktion tätig war.
In den folgenden 36 Jahren führte Leo Pfluger seine Firma mit eiserner Disziplin, unternehmerischem Scharfsinn und grossem Einfallsreichtum durch die Weltwirtschaftskrise, den zweiten Weltkrieg und die anschliessenden Jahre des Wirtschaftswachstums. Bereits im ersten Jahr ihres Bestehens wurden auf die Agathon AG die ersten Patente eingetragen. Der andauernde Strom an Innovationen ist bis heute ein identitätsstiftendes Merkmal des Unternehmens. Produziert wurde in den frühen Jahren der Agathon AG in erster Linie für die damals prosperierende Uhrenindustrie im Schweizer Jura und am Jurafuss sowie für die Décolletageindustrie. Zur Produktpalette gehörten damals unter anderem Präzisions-Werkzeugschleif- und -läppmaschinen, Zapfenlochbohrmaschinen, Gewindeschneidmaschinen, Supportschleifapparate und Poliertrommeln.
Leo Pfluger verstarb im September 1959. Er hinterliess drei Töchter und zwei Söhne.
I N H A B E R I N Z W E I T E R G E N E R A T I O N V O N 1954 – 1989
HUGO PFLUGER
Im Alter von 72 Jahren zog sich Leo Pfluger 1954 weitgehend aus dem operativen Geschäft der Agathon AG zurück und übergab die Leitung der Firma an seine beiden Söhne Hugo und Leo. Insbesondere der im September 1923 geborene Hugo Pfluger sollte in den kommenden Jahrzehnten das Unternehmen prägen. Sein älterer Bruder Leo verstarb bereits im Jahr 1962.
Seine theoretische Ausbildung zum Ingenieur absolvierte Hugo Pfluger zwischen 1939 und 1945 am Technikum in Le Locle, der früheren Uhrmacherschule. Neben Biel und La Chaux-de-Fonds war Le Locle im Neuenburger Jura eine der drei bedeutendsten Standorte der Schweizer Uhrenindustrie. Nach Abschluss seines Studiums verbrachte Hugo Pfluger die folgenden zwei Jahre in England, konkret in der Industriestadt Coventry. Dort arbeitete und lernte er einerseits als Praktikant bei der Maschinenbaufirma Wickman und besuchte anderseits das dortige Technical College. In einem Brief an «seinen» Hauptmann bei der Schweizer Armee schrieb er Anfang 1947 wörtlich: «Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz ging ich am 12. Januar wieder zurück nach England, wo ich in einer der grössten und modernsten englischen Maschinenfabriken die englische Sprache erlerne und mich gleichzeitig technisch und kaufmännisch weiterbilde. Nur zu gerne lebe ich für einige Zeit ausserhalbe der Mauern unseres vom Krieg verschonten Landes, um das echte Bild der in den Krieg verwickelten Länder kennenzulernen.»
Mit der Übernahme der Verantwortung durch Hugo Pfluger hielt auch ein neuer, partizipativer Führungsstil im Unternehmen Einzug. Während sein Vater Leo alle mehr oder weniger wichtigen Entscheidungen selbst getroffen hatte, wurde Verantwortung nun auf mehrere Schultern verteilt. Dies entsprang einerseits seiner humanistischen Haltung und anderseits der faktischen Notwendigkeit:
In der Zeit zwischen seinem Eintritt ins Unternehmen und der Übergabe der Führung an seine Söhne wuchs die Belegschaft von rund 30 bis 40 Mitarbeitenden auf rund 300, davon 250 in der Schweiz. Hugo Pfluger läutete ausserdem die weitere Internationalisierung des Unternehmens ein.
Er knüpfte und pflegte zahlreiche internationale Geschäftsbeziehungen. Ausserdem wurden erste Auslandsgesellschaften in England und in den USA gegründet. So betrug der in Nordamerika erzielte Umsatzanteil bereits im Jahr 1979 fast 30 Prozent.
Hugo Pfluger engagierte sich nicht nur für sein Unternehmen, sondern durch seine intensive Verbandsarbeit auch für die Schweizer Maschinen- und Werkzeugindustrie als Ganzes. Mehr als 20 Jahre war er im Vorstand des Verbands Schweizer Maschinenindustrieller, einem Vorläufer des heutigen Dachverbands SWISSMEM. Zudem war er von 1979 bis 1981 Präsident der International Special Tooling Association (ISTA) und von 1980 bis 1984 Präsident der Solothurner Handelskammer. 1978 verfasste er in tiefer Sorge um die Schweizer Exportwirtschaft einen Aufruf an den Gesamtbundesrat der Schweiz, dem ungebremsten und rasanten Anstieg des Werts des Schweizer Frankens aktiv entgegenzutreten. Die von der Regierung entsprechend angestossenen Massnahmen sind wohl zumindest teilweise diesem Engagement zu verdanken.
Seine humanistische Haltung drückte sich auch in seiner Liebe für Kreativität und Ästhetik aus. Schon während seine Aufenthalts in Coventry war er begeistert von der Glasfassade des Wickman-Firmengebäudes. Später sollte er gemeinsam mit dem Architekten Fritz Haller ein ähnliches Konzept in Bellach verwirklichen. Er war ausserdem ein Anhänger des Solothurner Künstlers Roland Flück, der für das Unternehmen bis heute bereits mehrere Auftragsarbeiten realisiert hat. Nicht zuletzt heiratete er zwölf Jahre vor seinem Tod in zweiter Ehe Madelaine Wille, eine Kunsttöpferin deren Kreativität er zutiefst bewundert hat.
Hugo Pfluger verstarb im November 2000.
I N H A B E R I N D R I T T E R G E N E R A T I O N V O N 1990 – 2015
JÜRG A. PFLUGER
DR. WALTER PFLUGER
An der Abschlussfeier des Jahres 1989 gab Hugo Pfluger seinen Rückzug von der operativen Führung des Unternehmens bekannt. Nachfolger als Vorsitzender der Geschäftsleitung wurde sein Sohn Jürg, während sein anderer Sohn Walter fortan den Verwaltungsrat präsidierte. Beide waren bereits 1979 in das Unternehmen eingetreten und wurden von ihrem Vater intensiv auf ihre Rolle als gemeinsame Leiter des Unternehmens vorbereitet.
Der im Oktober 1950 geborene Walter Pfluger studierte Maschinenbau an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Anschliessend promovierte er dort und schloss seine Ausbildung im Jahr 1979 als Doktor der Technischen Wissenschaften ab. Auf Wunsch seines Vaters trat er unmittelbar danach in den Familienbetrieb ein und wurde dort Direktor für Forschung und Entwicklung. Zwar erwarb Walter Pfluger Ende der 1980er-Jahre noch einen Executive MBA an der Hochschule St. Gallen (HSG), aber die Welt, in der er sich am wohlsten fühlte, blieb die der Technologie.
Der wesentliche Grund für den raschen Start seiner beruflichen Tätigkeit in der Agathon AG lag darin, dass sich die CNC-Technologie anschickte, den Maschinenbau dramatisch zu verändern. Agathon wollte hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Entwicklungschefs lag daher in der Einführung der CNC-Technologie im Unternehmen.
Bereits im Jahr 1980 konnte Agathon die weltweit erste CNC-Wendeschneidplatten-Schleifmaschine vorstellen. Es sollte nicht die letzte wegweisende Entwicklung von Walter Pfluger bleiben.
Sein Bruder Jürg kam im Juli 1953 zur Welt. Er war mehr Geschäftsmann als Erfinder und studierte an der Universität in Bern Wirtschaft, wo er sein Studium mit dem zu der Zeit gängigen Lizenziat abschloss. Nach seinem Eintritt in die Agathon AG übernahm er Verantwortung für Marketing und Vertrieb. Anfang der 1980er-Jahre lebte er vorübergehend in den USA, wo er für rund drei Jahre die nordamerikanische Vertriebs- und Serviceniederlassung Agathon Maschine Tools Inc. führte.
Im Jahr 1996 übergab Jürg Pfluger die Verantwortung als CEO seinem Bruder und verliess im Jahr 2013 das Unternehmen aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit. Jürg Pfluger verstarb im Sommer 2015.
Agathon hatte mittlerweile eine Grösse erreicht, die es für eine Person unmöglich machte, sowohl die kommerziellen als auch die technologischen Bereiche zu führen. Walter Pfluger entschied sich daher, die Leitung der Forschung und Entwicklung abzugeben und holte den Physiker Dr. Stephan Scholze ins Unternehmen. Scholze übernahm das Amt als Vizedirektor Forschung und Entwicklung im Januar 2012.
Bereits nach dem Ausstieg seines Bruders kümmerte sich Walter Pfluger darum, seine Nachfolge zu regeln. Denn: Von Seiten seiner drei Kinder fehlte ein klares Bekenntnis das Unternehmen in vierter Generation weiterzuführen. «Die Kinder in eine ungewollte Position zu drängen, bringt nichts», diktierte er im Oktober 2014 der Solothurner Zeitung, denn dann fehle das Wichtigste, nämlich das Herzblut. Die zwei wichtigsten Kriterien für eine externe Nachfolge waren der Erhalt der inneren Einheit des Unternehmens mit seinen zwei Standbeinen Maschinen und Normalien sowie der Erhalt des Standorts Bellach und der entsprechenden Arbeitsplätze. Ein Finanzinvestor kam für ihn daher genauso wenig in Frage wie ein Börsengang. Vielmehr suchte er gezielt einen Käufer, der Agathon als Inhaber weiterführen würde.
I N H A B E R I N V I E R T E R G E N E R A T I O N S E I T 2 0 1 5
MICHAEL MERKLE
DR. STEPHAN SCHOLZE
Als Walter Pfluger Michael Merkle das Angebot unterbreitete, Agathon zu übernehmen, war dieser alles andere als abgeneigt, diese unternehmerischen Herausforderung anzunehmen und seine sichere Anstellung als Geschäftsführer der Bystronic Laser AG dafür aufzugeben. Pfluger und Merkle kannten sich bereits seit einigen Jahren und pflegten ein Vertrauensverhältnis, das das Risiko auf beiden Seiten minimierte. In der Folge übernahm Michael Merkle die Aktienmehrheit an der Agathon AG. Das andere Aktienpaket ging an den Entwicklungschef Dr. Stephan Scholze.
Michael Merkle studierte Betriebswirtschaft an der Hochschule Pforzheim und hält ausserdem einen MBA der IMD Business School in Lausanne. Nach frühen Stationen in Ostasien als General Manager Bosch Power Tools und als Vice President bei DKSH verantwortete Michael Merkle zwischen 1998 und 2001 für Flow International als Vice President und General Manager die Geschäfte des Unternehmens in Europa, im Mittleren Osten und in Afrika. Zwischen 2002 und 2015 leitete er bei Bystronic zunächst die Division Waterjet Cutting Systems, bevor er Geschäftsführer der Bystronic Laser AG wurde.
Stephan Scholze studierte Physik an der Universität Stuttgart und promovierte zwischen 1999 und 2002 an der ETH Zürich zum Doktor der Technischen Wissenschaften. Später erwarb er an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften einen MBA. Er startete seine Karriere als Prozessingenieur bei oerlikon esec Semiconductors, später war er bei Satisloh Photonics verantwortlich für R&D.
Der erste Arbeitstag von Michael Merkle als CEO der Agathon AG fiel ausgerechnet auf den 15. Januar 2015 und somit auf den Tag, der unter dem Begriff des Frankenschocks in die jüngere Geschichte des Landes Einzug gehalten hat. An diesem Tag wertete der Schweizer Franken gegenüber dem Euro um rund 20 Prozent auf und stellte nicht zuletzt die Schweizer Exportwirtschaft vor eine enorme Herausforderung. Anstelle einer ruhigen Einarbeitung waren die neuen Firmeneigentümer bereits am ersten Tag voll gefordert. Michael Merkle kam in dieser Situation seine intensive Erfahrung mit der Wirtschaftskrise 2008 zugute.
Der Frankenschock ermöglichte es den neuen Inhabern, notwendige und sinnvolle Veränderungen im Unternehmen deutlich früher als angedacht umzusetzen. So konzentrierte man sich im Maschinengeschäft auf Wendeschneidplatten-Schleifmaschinen. Entwicklung und Produktion von Spitzenlosschleifmaschinen wurden eingestellt und lediglich der Service für diese Maschinen bis heute aufrechterhalten. Frei werdende Ressourcen wurden gezielt in die Erneuerung und Erweiterung des Maschinenportfolios für das Zielsegment investiert.
Heute hat Agathon das breiteste, durchgängigste und jüngste Angebot an Wendeschneidplatten-Schleifmaschinen. Dieses Portfolio wird seit 2017 um die erste Laserbearbeitungsmaschine des Unternehmens ergänzt. Ausserdem ist es Agathon gelungen, mit seinem Industrie-4.0-Angebot in diesem Marktsegment eine Vorreiterrolle einzunehmen. Auch bei den Normalien bzw. jetzt Precision-Parts wurde die Entwicklung neuer hoch innovativer Produkte gepusht. Mit der runden Feinzentrierung sowie der Mini-Feinzentrierung zum Beispiel konnte sich Agathon neue Marktfelder erschliessen.
Weitere Veränderungen, die von Merkle und Scholze angestossen wurden, sind unter anderem die strategische Ausrichtung des Einkaufs, die weitere Professionalisierung von Marketing und Vertrieb, die Einführung von Lean Manufacturing sowie die Ausrichtung der Fertigung nach den Prinzipen der Engpasstheorie (Theory of Constraints – TOC). Zudem erfolgt zum Jahreswechsel 2018/2019 die Umstellung von Platz- auf Fliessmontage. Das Ziel lautet, maximale Effizienz mit den vorhandenen Ressourcen zu erreichen und gleichzeitig die nahezu sprichwörtliche Agathon-Qualität mindestens zu halten.